Strategisch am oberen Nildelta gelegen, ist der Grossraum Kairo bereits seit fünftausend Jahren durchgehend besiedelt. Memphis, die Hauptstadt des altägyptischen Reiches um 3000 v. Chr., befindet sich wenige Kilometer weiter südlich, die Pyramiden von Gizeh, die um 2.500 v. Chr. erbaut wurden, im Westen, und die alte Heliopolis im Nordosten des heutigen Kairo. Keine Region nahm in der Geschichte des alten Ägypten länger eine zentrale Rolle ein als diese. Mit der Gründung des römischen «Babylon» und der Stadt «Fustat» zu Beginn der muslimischen Eroberungszüge 641 wurden die Grundlagen des modernen Kairo gelegt. Seither ist Kairo als die triumphierende Stadt oder die Stadt der tausend Minarette (mit Bezug auf die unübertroffene Architektur der Mameluken und Fatimiden) bekannt. Die Bedeutung dieser Metropole wird zusätzlich durch die Tatsache unterstrichen, dass «Misr» sowohl Kairo als auch ganz Ägypten bezeichnet und somit das Land mit seiner Hauptstadt identifiziert wird. Ausserdem wird die Stadt auch als «Mutter der Welt» bezeichnet.

Wir untersuchen die Städte des Nahen Ostens zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Diese Städte mit ihrem reichen architektonischen und städtebaulichen Erbe befinden sich an einem Wendepunkt der politischen Transformation und einer umfangreichen (Wieder-) Aufbautätigkeit und sie haben mit Problemen der Identität, Globalisierung und der Neukonzeption des öffentlichen und privaten Raums zu kämpfen. Im modernen Kairo können wir die diversen historischen Schichten anhand unterschiedlicher Stadtmodelle oder Ideen von Urbanität, die ihr städtisches Gefüge bestimmen, ausmachen. Elemente einer fatimidischen und mamelukischen Stadt liegen direkt neben (oder überschneiden sich sogar mit) Gebieten, die durch ottomanische Stadtkonzepte, haussmannsche Pläne und Quartiere im Stil des frühen Modernismus wie in der Gartenstadtbewegung geprägt sind. Vor kurzem wurde dieses Konglomerat durch spätmodernistische Viertel, ausgedehnte neue Wüstenstädte an der Peripherie Kairos und endlose Gebiete mit informellen Siedlungen, in denen ein Grossteil der rasch anwachsenden städtischen Bevölkerung wie auch Migranten aus dem ländlichen Raum unterkommen, erweitert. Die Stadt lässt sich daher als etwas lesen, das aus verschiedenen Konzepten der «Stadtwerdung» besteht, die nie ganz ausgeführt wurden, während sie stets Transformationsprozesse aufzeigen und ihre Berechtigung in der heutigen Wirtschaft in Frage gestellt sehen.

Zu den jüngsten städtebaulichen Entwicklungen Kairos gehören etwa die Errichtung riesiger neuer Wüstenstädte für die Reichen am Stadtrand. Hier leben mehrere hunderttausende Menschen, während sich zugleich die informellen Viertel, die häufig eigenhändig auf landwirtschaftlichen Flächen errichtet werden, in noch nie dagewesener Weise ausbreiten. Obwohl sie häufig als virtuelle Gegenmodelle der Urbanität betrachtet werden – das erstere offiziell geplant für die oberen Einkommensgruppen, das zweitere ein unkontrollierbares urbanes Chaos und Ärgernis – müssen doch beide Tendenzen wie die beiden Seiten einer Medaille als eng verbunden betrachtet werden. Mit dem Aufstieg Mubaraks zur Macht zu Beginn der 1980er Jahre hat sich Ägypten eindeutig für ein neoliberales Wirtschaftsmodell entschieden. Man wollte internationale Investoren (häufig aus den Golfstaaten) anziehen und so erlebte Kairo einen enormen Kapitalzufluss in seinen Immobilienmarkt mit dem Resultat, dass Büroparks, eingezäunte Wohnviertel und riesige Wüstenstädte entstanden. Gerade diese Bauprojekte ermöglichen die enorme Land-Stadt-Migration mit Hunderttausenden von Zuwanderern, die als Bauarbeiter, Hausmädchen oder Taxifahrer arbeiten und eine wachsende Unterschicht bilden. Sie beteiligen sich an der Ausbreitung der grossen informellen Viertel, in denen heute 70% der Stadtbevölkerung, meist ohne öffentliche Dienstleistungen oder Transportmittel, wohnen.

Status

Abgeschlossenes Projekt, Projektstart 2010