Worker’s room in Moiry, 1955 © Archives d’architure, Genève

Prof. em Dr. h. c. Günther Vogt | Landschaftsarchitektur

Sekundäre Infrastrukturen werden aufgedeckt: die temporären Arbeitersiedlungen von La Grande Dixence (1950-1965)

Als Antwort auf die Aufforderung von Susan Leigh Star, scheinbar «langweilige Dinge» und alltägliche Aspekte von Infrastrukturen zu untersuchen, bietet dieses Forschungsprojekt eine Reflexion über den Begriff der «sekundären Infrastruktur» an: hier als die Infrastruktur verstanden, die die Herstellung der primären Infrastruktur überhaupt erst ermöglicht. Dazu wird die Vernetzung von Wasserkraftwerken in den Schweizer Hochalpen als Beispiel für die Ausdehnung dessen betrachtet, was Anna Lowenhaupt Tsing als Grenzregion der Ressourcen in den Schweizer Alpen definiert.

Das Gesamtbauwerk der Grande Dixence im Kanton Wallis ist die wichtigste Fall dieser Studie. Dieser Staudamm, der bei seiner Fertigstellung 1962 als der weltweit höchste galt, wurde aufgrund der rapide steigenden Nachfrage nach Strom in den Nachkriegsjahrzehnten gebaut. Die abgeschiedene Lage der Bauwerke und die Notwendigkeit, einen möglichst viele Arbeiten in den Sommermonaten auszuführen, erforderte den Bau von provisorischen Wohnsiedlungen für die Arbeiter direkt auf den Baustellen.
Im krassen Gegensatz zu den festen und massiven Strukturen der primären Infrastruktur entstand mit dem Aufbau und Abriss dieser sekundären Infrastruktur ein neues, höchst unbeständiges und dynamisches Gebiet. Sie breitete sich nach und nach in alle Alpentäler aus und beruhte auf der Standortunabhängigkeit ihrer einzelnen Elemente.

Zwei dieser Elemente werden genauer untersucht: erstens die Arbeitskräfte, die sich in einheimische Arbeitskräfte und Gastarbeiter unterteilen lassen; und zweitens die Verwendung von vorgefertigten Baracken zur Unterbringung eben dieser Personen. Eine Fokussierung auf diese beiden Aspekte ermöglicht eine aktualisierte Lesart des Bauprozesses des Staudamms und der dort herrschenden Arbeitsbedingungen. Zusammen mit einer Neudefinition der Begriffe «Infrastruktur» und «Territorium» erlaubt dieser Fokus, die Landschaft als ein Archiv und die Untersuchung der Überreste dieser Konstruktionen als einen Akt der Erinnerung zu begreifen. Sie erheben den Anspruch, zu den zum Schweigen gebrachten Stimmen zu gehören, und ermöglichen eine neue Lesart dieser Alpenlandschaft.

 

 

 

Doktorat

Rune Frandsen

Dissertationsleitung

Prof. Dr. h.c. Günther Vogt (ETH Zürich; D-ARCH; LUS)

Korreferat

Prof. Dr.-Ing. Silke Langenberg (ETH Zürich; D-ARCH; IDB), 2. Professor

Projektlaufzeit

2020 – 2023

Diese Forschung ist Teil des Forschungsprojekts Industrialisierung in den Alpen: Landschaft, Architektur, Kunst und Arbeit, unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF).