Das stillgelegte Kraftwerk Naharayim, 2017, © Ben Gitai, ETH Zürich

Prof. em Christophe Girot | Landschaftsarchitektur

Kartographie der Macht: Landschaftswandel im Jordantal

Das Zusammenspiel von drei Variablen – Territorium, Kartographie und Terrain – dient dazu, den Landschaftswandel im Gebiet Naharayim / el Baqura der letzten anderthalb Jahrhunderte zu erklären. Diese Wechselwirkung wird über drei historische Perioden hinweg untersucht, die den Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit markieren: die osmanische Zeit (1858-1917), das britische Mandat (1918-1948) und die Zeit der Eigenstaatlichkeit (1948-1994). Mit einem hybriden und interdisziplinären Ansatz an der Schnittstelle von Geschichte, Landschaftsarchitektur und Geopolitik analysiert diese Arbeit vertieft die drei Variablen jeder Periode und ihre Beziehung zur Macht.

Die Arbeit wendet einen multi-skalaren Ansatz an, um Prozesse der Landschaftstransformation an einem spezifischen geographischen Ort über einen definierten Zeitraum hinweg aufzuklären. Die Fallstudie betrifft Naharayim, und der Zeitraum erstreckt sich von 1858 bis zum frühen 20. Jahrhundert. Die Arbeit ist multidisziplinär und stützt sich auf Geschichte, Geographie, Geopolitik und Landschaftsarchitektur. Die primäre Methodik ist qualitativer Art und stützt sich auf drei Methoden: Einzelinterviews, Fallstudienforschung und qualitative Beobachtung. Ein konzeptioneller Rahmen für die Daten wird in Form eines deskriptiven Dreiecksmodells aus den drei Elementen Territorium, Kartographie und Terrain bereitgestellt. Dieses Modell dient dazu, die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die physische Landschaft in Naharayim im fraglichen Zeitraum zu veranschaulichen.

Diese Studie wird die technische Entwicklung der Vermessung und Landschaftszeichnung von Karten nachzeichnen und zugleich analysieren, wie diese Entwicklungen mit der Umgebung interagieren. Die Kartierung als technische und wissenschaftliche Chronologie wurde über die letzten 150 Jahre hinweg untersucht, um die landschaftliche Veränderung des Naharayim-Gebiets zu veranschaulichen. Die Praxis der Zusammenstellung und des Vergleichs von Karten über eine bestimmte Zeitspanne wird als Chronomapping bezeichnet: eine Methode, mit der ein chronologischer Atlas des Naharayim-Gebiets erstellt wurde. In der kartographischen Fachliteratur konzentrieren sich die meisten Forschungen zu Grundbesitz und Landtiteln auf die Kartierung von Privatbesitz und die Erstellung von Grenzkarten durch die Grundbesitzer in Bezug auf die physischen, politischen, ökologischen und kulturellen Aspekte der drei historischen Perioden.

Im Rahmen dieser Untersuchung werden Militär- und Infrastrukturkarten von der Klassik bis zur Neuzeit analysiert. Besonderes Augenmerk wird dabei sowohl auf grosse topographische Karten als auch auf mikrotopographische Details des Gebiets gelegt, um die Auswirkungen der grossräumigen Kartierung des Territoriums auf die lokale Landschaft zu verstehen. Jede Periode wird durch die Linse menschlicher Aktivitäten wie Hydrologie, Agrarlandschaft, Infrastrukturentwicklung und Grenzlinien betrachtet, die alle zur Gestaltung der Landschaft des Ortes beigetragen haben. Bei der Bewertung der Veränderungen in diesem Gebiet werden jene Karten chronographisch untersucht, die die verschiedenen Landschaftsmerkmale zeigen, die an diesem Ort vom späten 19. bis zum 21. Jahrhundert vorhanden waren.

Zu diesem Zweck werden auch Feldforschungsmethoden angewandt – inklusive Vermessungen, Landschaftszeichnungen und Karten – um ein detailliertes Verständnis davon zu vermitteln, wie diese mit der Umgebung interagieren. Diese Methode analysiert die physische Landschaft mit Hilfe von terrestrischen Lidar-Laserscannern und Modellierungstechniken, die am ETH-Labor für Landschaftsvisualisierung und -modellierung (LVML) von Professor Christophe Girot entwickelt wurden. Die Feldstudie wird seit 2015 vom Departement Architektur der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Departement für Bauingenieurwesen am Technion in Haifa durchgeführt.

Die Analyse der verschiedenen Kartierungstechniken wird ein tieferes Verständnis dafür erlauben, wie die Kartographie als Medium genutzt wurde, durch das Landschaft geformt und verändert wurde. Die Bewertung der technischen Entwicklung der Kartierungspraktiken wird aufzeigen, inwiefern das menschliche Wissen und die Entwicklung der Kartierung wichtige Faktoren bei der Transformation des dynamischen natürlichen Systems der physischen Landschaft dieses Ortes waren.

Doktorat

Dr. Ben Gitai

Dissertationsleitung

Prof. Christophe Girot

Projektlaufzeit

2017 – 2022